Kleidervorschriften für Männer und Frauen
Bahnenrock mit Gummizug, von Ulla Popken
Sie tauchen immer mal wieder in Zeitschriften und Zeitungen auf: die Kleidervorschriften. Oder anders ausgedrückt, sogenannte Stilberater geben
zum Ausdruck, wie sie selbst die Gesellschaft kleiden würden, unabhängig davon, ob es passend ist oder nicht.
Gewisse Vorgaben
Natürlich gibt es gewisse Vorgaben, die wahrscheinlich jeder auf seine Art und Weise einhält. Nur wer bestimmt diese Vorgaben, oder wer bestimmt,
was nun angemessen ist oder nicht? Sind es wieder diese Stilberater, oder ist es der gesunde Menschenverstand oder der Respekt vor einer gewissen Umgebung bzw.
einem Anlass, die eine gewisse Kleiderordnung vorgeben? Wer bestimmt das alles?
Eingespielte Regeln
Im Laufe der Zeit haben sich gewisse Regeln etabliert, die beispielsweise eine gepflegte, elegante Kleidung im Kundenkontakt vorsieht, wobei es
je nach Branche weitere Feinheiten gibt. So ist in einem 'normalen' Bekleidungsgeschäft eine andere Kundenkleidung vorgesehen, als in Banken oder im Hotelgewerbe.
Bei Verhandlungen in der Industrie oder auf Messen gilt sicherlich auch wieder eine andere Kleiderordnung.
Selbst ohne Kundenkontakt sehen es sicherlich viele Firmen nicht gerne, wenn ihre Mitarbeiter kleidertechnisch schon halb am Strand liegen. Anderen wiederum ist
es egal, Hauptsache die Arbeit wird erledigt.
Regeln auch im Sommer?
Natürlich sollte sich jeder so anziehen, dass es der Temperatur entspricht. Das gilt aber auch genauso im Winter. Gerade wer mit Kollegen zusammen
in einem Raum sitzt, sollte dies beherzigen, denn überhitzte Räume im Winter sind mind. genauso unangebracht wie durch Klimaanlagen unterkühlte Räume im Sommer.
Aber, in sog. Schlipsträger-Branchen geht dies normalerweise schief, oder besser gesagt: Immer dort, wo Männer und Frauen zusammen arbeiten und sich 'angemessen'
zu kleiden haben. Denn was ist angemessen? Bei Männern: 'Anzugschuhe', lange Hose, Hemd, Krawatte und Sakko? Bei Frauen: Pumps, Sandaletten oder Stiefeletten,
Rock mit Strumpfhose oder Hose, Bluse und evtl. ein Blaser?
Vor kurzem polterte so ein Stilberater sogar: (Sinngemäß) 'Wenn ein Mann schon ein Hemd mit kurzen Ärmeln trägt, dann müssen sie eng anliegen, damit die Muskeln
sichtbar sind'. Geht es noch dämlicher?
Artikel in der Zeitung
Im Südkurier stand im Juni 2012 ein Bericht, der sich mit dem Problem "Hitze im Büro" befasste.
Hier kamen eine "Kniggeberaterin", ein Stilautor und eine Personal Shopperin sinngemäß zu Wort: Lange Hose muss sein, mit kurzer Hose zur Arbeit "Das geht leider
gar nicht" - stets mit dem Hintergedanke, was wohl der Chef denken wird. Edle Materialien wie Mohair, Merinowolle oder Kaschmir sind gegen das Schwitzen angesagt.
Immerhin dürfen geschlossene Schuhe Zuhause bleiben und beispielsweise Mokassins getragen werden - natürlich mit Strümpfen. Frauen dürfen immerhin Pumps oder
schicke Sandalen tragen.
Ein Hemd mit kurzen Ärmeln sei ebenfalls absolut tabu. Ohne Sakko? "Der kann sich wohl keines leisten".
Und, generell müssen die Stoffe so dick sein, dass keine Unterwäsche durchscheint und alles muss farblich zusammen passen - immerhin ein sinnvoller Ansatz.
Um dem etwas daneben gegangenen Artikel noch die Krone aufzusetzen, wurde ein Bild eines Mannes mit kurzer Hose und Schlappen in einem abgelegenen Büro gezeigt,
also gerade dort, wo es eh keinen stört.
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Mein Kommentar zu dem Artikel
Solche Leute verdienen mit ihren Wirrungen noch zu viel Geld, oder warum können sie sich feinste Materialien leisten? Im klimatisierten Büro bzw.
in einer Bank, wo ebenfalls entsprechende Temperaturen vorhanden sind, ist das ja gut und soweit ok. Aber in einem "normalen" Büro, in dem auch bei mehr als 25 Grad
noch gearbeitet werden muss, waren diese Menschen sicherlich noch nie. Anders sind solche Ergüsse nicht zu erklären.
Was mich dabei nicht wundert, ist die Tatsache, dass es hauptsächlich um Männer ging. Da zwei Frauen zu Wort kamen, ist ja klar, dass sie sich ihre eigene Freiheit
nicht einschränken lassen. Männer sind aber diesbezüglich etwas hilflos und müssen daher Regeln vorgesetzt bekommen, auch wenn sie noch so sehr daneben sind. Etwas
mehr Differenzierung, etwas mehr Realität hätte dem Artikel sicherlich gut getan.
Denn: Ich kann als Chef zwar die Richtung vorgeben, direkt vorschreiben kann ich sie aber nicht, ansonsten gilt es als Dienstkleidung, die zumindest bezuschusst
werden müsste. Oder warum kann einem Mann auch bei hohen Temperaturen eine lange Hose, langärmliges Hemd, Krawatte und Sakko zugemutet werden, wenn sich gleichzeitig
die Frauen bequemer und luftiger anziehen können? Schon mal etwas von Diskriminierung gehört?
So lange Frauen in (kurzen) Röcken und leichten Blusen (oder leichten Kleidern) genauso angemessen sind wie der besagte Anzugträger, gleichzeitig eine "anständige"
kurze Hose bei Männern aber als "das geht nun mal gar nicht" gilt, so lange stimmt etwas grundsätzlich nicht. Ich würde und werde mir bei solch hohen Temperaturen
in meinem Büro jedenfalls nicht vorschreiben lassen, was ich anzuziehen habe. Schon gar nicht, wenn Kolleginnen gleichzeitig ihre Röcke tragen können. In diesem
Fall würde ich ebenfalls im Rock zur Arbeit gehen. Denn was will ein Chef machen? Es wäre schlichtweg Diskriminierung, und dagegen gibt es ein Gesetz.
Ob Knigge- oder Stilberater, etwas mehr Realität würde diesen Menschen nicht schaden. Ansonsten sind solche Artikel nicht mehr Wert, als irgend ein unbedeutender
Absatz in einem Klatsch- und Tratsch-Blatt.
Klar, eine gewisse Kleidungsvorschrift kann es geben, wenn dadurch beispielsweise die Identität zu einem Geschäft oder einer Firma vorgegeben wird, so dass jeder
sieht, ich gehöre zum Personal. Der klassische Anzug kann auch Pflicht sein, wenn dies im Arbeitsvertrag so geregelt ist. Aber alles was darüber hinaus geht, sollte
jedem selbst überlassen sein. Vor allem, weil es keine einseitge Bevorzugung von Frauen geben sollte.
Reale Ansätze
Sicherlich hat jeder Mensch seine eigenen Vorstellungen darüber, was 'normal' und 'angemessen' ist. Genauso wird es so manchem Zeitgenosse einmal
gut tun, sein äußeres Erscheinungsbild zu überdenken. Aber jeder arbeitende Mensch hat sich wahrscheinlich in irgend einer Art und Weise mit seiner Kleidung seinem
Umfeld angepasst. Wenn alle leger angezogen sind, werde ich im Anzug overdressed sein, umgekehrt genauso.
Zu legerer Kleidung zählen im Sommer nun einmal auch Röcke, Kleider und auch kurze Hosen (es gibt auch einfarbige Modelle). Legere Kleidung bedeutet ja auch nicht
gleich Strandlook.
Natürlich muss sich jeder Mann auch selbst fragen, ob er sich mit kurzer Hose, pelzigen Beinen, weißen Socken und Sandalen zur Arbeit traut.
D.h. wenn schon Knigge oder sonstiger Unsinn, dann bitte real denken. Nicht jeder arbeitet in einer Bank. Und selbst da hätte ich nichts gegen einen Mann in Rock und
Feinstrumpfhose, wenn er dafür seinen Job anständig erledigt.